Informatiker zur e-Card: „Daten sind völlig unsicher“ – eGK-Gegner diskutieren in Berlin
Milliardenkosten, minimaler Nutzen: Wohl kaum ein gesundheitspolitisches Projekt ist so umstritten wie die elektronische Gesundheitskarte (eGK). Nicht nur Ärzte wehren sich gegen das Projekt e-Card, Kritik kommt auch von Patientenvertretern und Datenschützern. Auf Einladung der Initiative „Stoppt die e-Card“ trafen sich am Mittwoch eGK-Gegner zu einer Tagung in Berlin, um über die Risiken und Nebenwirkungen der elektronischen Gesundheitskarte zu diskutieren.
Im Mittelpunkt stand dabei vor allem die Frage nach der Datensicherheit – nicht zuletzt aufgrund des geplanten Online-Versichertenstammdaten-Abgleichs. Sensible Patientendaten sollen hierfür künftig auf zentralen Servern gespeichert werden, sodass alle Arztpraxen und Kliniken Zugang haben.
Referent Prof. Hartmut Pohl, Sprecher des Präsidiumsarbeitskreises „Datenschutz und IT-Sicherheit“ der Gesellschaft für Informatik (GI) formulierte hierzu kurz und knapp: „Die Daten sind völlig unsicher.“ Es gehe nicht um die e-Card als Identifikationsinstrument der Patienten beim Arztbesuch. Entscheidend sei die geplante Speicherung der Gesundheitsdaten von rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten auf Internetservern. „Das birgt Risiken“, erklärte Pohl. So gebe es zum Beispiel trotz Verschlüsselung und Pseudonymisierung keine sichere Speicherung von Daten im Internet. Auch eine dezentrale Datenspeicherung sei nicht möglich. „Theoretisch kann jedermann von überall auf der Welt auf die Server zugreifen.“ Weiter wies der Informatiker auf das Risiko hin, dass die Patientendaten, sobald sie universal zugänglich abgespeichert seien, verknüpft werden könnten mit anderen Daten, zum Beispiel Bankdaten.
Sodann legte Pohl auch einen Lösungsvorschlag vor. Zunächst müsse der Patient frei wählen können, ob er seine Gesundheitsdaten im Internet ablegen oder diese selbst speichern wolle, und zwar auf einem portablen Datenträger. „Der Patient sollte seine Daten selbst verwalten können“, forderte der Referent.
Über seine Erfahrungen mit der e-Card in Österreich und allgemein über die dortige Digitalisierung des Gesundheitswesens berichtete der Präsident des österreichischen Hausärzteverbandes, Dr. Christian Euler. Er stellte fest: „e-Health ist ein Wirtschaftszweig, durch den sich die Investoren mehr erhoffen dürfen als die Patienten.“ Der Referent nannte das System der eGK eine „als Fortschritt getarnte Entsolidarisierung und Diskriminierung“. Ärzte in Österreich würden durch die e-Card bevormundet. So könnten sie einen Patienten zum Beispiel nicht mehr selbstständig krankschreiben, sondern müssten auf elektronischem Weg erst auf eine Bewilligung der jeweiligen Krankenkasse warten. „Mit den elektronischen Anwendungen zwingen uns die Kassen, ihre Verbündeten zu werden und locken uns weg vom Patienten“, sagte Euler. Insgesamt sei e-Health für die österreichischen Ärzte eine Verlustrechnung.
Die Risiken der eGK aus Sicht der Versicherten erläuterte Patientenvertreterin Gabi Thiess aus Hamburg. Auch sie warnte davor, sensible Krankheitsdaten zentral zu speichern. „Ich kann zwar den Arzt wechseln, aber die Daten bleiben immer erhalten, wenn sie einmal abgespeichert sind.“ Dies könne etwa zu falschen Diagnosestellungen oder unterlassenen Untersuchungen führen, wenn die Ärzte sich nur an den schon erfassten Daten orientieren würden, erklärte Thiess. „Ich jedenfalls werde die Karte nicht benutzen und das notfalls vor Gericht durchsetzen.“
Für die Medizinischen Fachangestellten (MFA) sprach Hannelore König vom Verband der MFA. Ihre Berufsgruppe stehe der eGK mit großer Skepsis gegenüber. „Wir stellen uns gerne den modernen technischen Herausforderungen, fordern aber auch, dass der Datenschutz gewahrt wird.“ Vor allem aber würden die Medizinischen Fachangestellten erwarten, „dass wir gehört werden und unser Wissen und unsere Erfahrungen einbringen können, denn schließlich sind wir diejenigen, die mit der Karte umgehen müssen“.
Als eine „elektronische Entblößungskarte“ bezeichnete Prof. Paul Unschuld von der Charité Berlin die eGK. „Sie ist wie ein Nacktscanner für den gesamten menschlichen Organismus.“ Für bestimmte Interessengruppen, etwa die Industrie, die Politik und die Kassen, erfülle die e-Card eine praktische Funktion. Der Medizinhistoriker zitierte aus seinem Buch „Ware Gesundheit“. Darin schreibt er, dass zentral gespeicherte und verwaltete Patientendaten einen ökonomischen und politischen Zweck erfüllen würden. „Die ökonomischen Nutznießer können diese Daten auswerten, um das pharmazeutische Marketing zu optimieren; die politischen Nutznießer erhalten mit diesen Daten ein bislang nicht gekanntes Machtmittel, das die Steuerung der Gesellschaft über die Schwächen eines jeden einzelnen Menschen erlaubt.“ Die eGK sei ein kleiner Aspekt für bestimmte Gesellschaftsgruppen, um das bisherige Gefüge von Arzt und Patient in neue Strukturen zu drängen und mehr Kontrolle auszuüben.
„Von uns Ärzten ist jetzt ziviler Ungehorsam gegen das Projekt e-Card gefragt, wir dürfen uns nicht kaufen lassen“, appellierte Dr. Silke Lüder, Sprecherin der Aktion „Stoppt die e-Card“, abschließend an die Kollegen im Plenum. „Wir dürfen nicht zu Handlangern der Kassen werden.“
Mit freundlicher Genehmigung von Facharzt.de.
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